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„Lockdown light“ schafft lokale Not

4. November 2020

Diese Auswirkungen hat der nationale „Wellenbrecher“

ALSTERTAL/ WALDDÖRFER Seit Montag gibt es einen Lockdown light: Restaurants, Sportvereine, Fitnessstudios, Kultureinrichtungen – sie alle müssen bis Ende November wieder schließen. Was denken die Betroffenen darüber? Wir haben nachgefragt.

Von Anja Krenz und Matthias Damm

„Ich habe null Verständnis für das Sportverbot“, sagt John Ment, der dem DUWO 08 in Wohldorf-Ohlstedt vorsteht. „Jeder hat sich an die Vorgaben gehalten und wird nun abgestraft“, fährt er fort. „Unsere Übungsleiter sind kreativ genug, ein kontaktarmes Training anzubieten für alle, die ihrem Sport nachgehen mögen!“. Marcus Benthien, 1. Vorsitzender des TSV Sasel, unterstreicht die enorme Bedeutung des Vereinssports, dennoch sagt er: „Wir machen den Verein zu. Wenn unsere gewählten Vertreter in der jetzigen Situation diese Entscheidung getroffen haben, dann steht es mir nicht zu, das zu kritisieren. Und ein Lockdown im November ist mir allemal lieber als im Dezember.“
Thomas Ertl, der den Vorsitz beim Lemsahler SV innehat, betont: „Grundsätzlich habe ich ein starkes Verständnis für die Kontaktbeschränkungen, aber: Ich habe von keinem Fall gehört, wo sich jemand beim Sport an der frischen Luft angesteckt hätte.“ Er selber spielt Fußball in einer Seniorenmannschaft. Seine Mitspieler sind zwischen 60 und 80 Jahre alt und gehören damit – wie er selbst – zur Risikogruppe. „Von den 18 Männern, die wir sonst sind, waren beim letzten Mal nur zehn beim Training. Die anderen sind zu Hause geblieben. Die Beschlüsse der Politiker haben denen Angst gemacht.“ Der Rest der Mannschaft „war richtig genervt und gefrustet“ darüber, dass sie sich in dieser Woche nicht zum Training treffen dürfen.

„Wo bleiben die kreativen Ideen?“

Thomas Ertl ist Hochschullehrer. Auf seinem Arbeitsweg zur Fresenius-Hochschule, erzählt er, sei er 30 Minuten in der Bahn und 20 Minuten im Bus unterwegs – beide Verkehrsmittel am Morgen pickepackevoll. „Die Gefahr, sich dort anzustecken, halte ich für größer als draußen auf dem Sportplatz. Ich würde von den Politikern kreative Lösungen erwarten, zum Beispiel, dass sie den öffentlichen Nahverkehr anders organisieren und entzerren, indem Schul- und Arbeits-Anfangszeiten gestaffelt werden“, lautet einer seiner Vorschläge. Ein anderer: „Man sollte die Infektionsquellen näher bestimmen. Wenn die nachvollziehbarer wären, würde das zu mehr Differenzierung führen. Und wir könnten zumindest mit Mund-Nasenschutz Sport machen.“ Ähnlicher Meinung ist der Geschäftsführer des SC Poppenbüttel Wolfgang Haumüller: „Es sollte möglich sein, den Sport nach draußen zu verlagern. Gerade für die Älteren und für die Kinder ist es schwierig, darauf zu verzichten. Für sie ist es wichtig, mit Bewegung einen Ausgleich zu schaffen.“

Online-Kurse beim SC Poppenbüttel

Wolfgang Haumüller wird, wie schon im Frühjahr, dafür sorgen, dass sich die SCP-Mitglieder trotzdem bewegen können. „Ab dieser Woche wird es bei uns wieder Live-Sport geben, das heißt, alle Mitglieder, die einen PC haben, können sich über einen Link live in die Halle zu ihrem Übungsleiter schalten und so zu Hause an den Kursen teilnehmen. Die nötigen Trainingsutensilien, wie Matten, Hanteln oder Bälle können sie bei uns abholen oder wir bringen sie vorbei.“ Außerdem wird Haumüller den Einkaufsservice des Vereins wieder hochfahren. „Einfach montags bis freitags bis 12 Uhr unter 040-611 639 09 anrufen und die Liste durchgeben oder eine Mail schicken“, erklärt er. Dann erledige ein Team die Besorgungen und liefere diese noch am gleichen Nachmittag nach Hause. „Das ist das, was wir für die Menschen da draußen tun können – in der Hoffnung, dass sie uns nicht fallenlassen“, sagt Haumüller.

Angst vor Austritten ist in Vereinen ist groß

Denn das ist die große Angst aller Vereine: dass die Austritte im Vergleich zu den Eintritten massiv ansteigen und dadurch die Existenz bedroht wird. Thomas Ertl vom Lemsahler SV sagt dazu: „Mir sind Vereine im Umfeld bekannt, die unter Massenaustritten gelitten haben.“ Die Menschen in seinem Stadtteil, meint er, haben meist mehr finanzielle Möglichkeiten, müssten nicht aus existenziellen Gründen aus dem Verein austreten. Er betont: „Vereinsrechtlich ist es kein Austrittsgrund, wenn man für seinen Mitgliedsbeitrag keine Gegenleistung erhält.“ Aber in erster Linie, und da schließen sich alle Vereinschefs an, erfahre er viel Solidarität von seinen Mitgliedern.
Gastronomie „nicht in Sippenhaft nehmen“
„Dass Bars dichtmachen müssen, kann ich unterstützen. Aber die Restaurants tun mir leid“, sagt Thomas Ertl im Laufe des Gesprächs. „Die haben alles gemacht – Scheiben installiert, Hygienepläne erarbeitet und umgesetzt. Die sollte man nicht in Sippenhaft nehmen, sondern von Kneipen und Kiosken trennen!“ Das empfindet Sasa Tifkovic genauso. Ihm gehören unter anderem das Restaurant „Villagio“ und das „Hotel Du Nord“ in Volksdorf. Er sagt: „Für eine verantwortungsvoll geführte Gastronomie braucht es keinen Lockdown. Wir beachten alle Corona-Regeln, wie uns die Überprüfung durch die Polizei erst vor einigen Tagen bestätigt hat. Der erneute Lockdown bedeutet erhebliche Verluste. Etwa 80 Prozent der Mitarbeiter gehen in 100 Prozent Kurzarbeit. Mit dem übrigen Personal halten wir einen Außer-Haus-Verkauf aufrecht.“
Auch Bettina Haller vom Wiener Kaffeehaus in der Villa in Volksdorf ist mit den Beschränkungen nicht einverstanden: „Wir sehen doch, wo die Infektionen entstehen. Jedenfalls nicht in der Gastronomie! Deshalb trifft es jetzt wieder die Falschen. Ich verstehe aber, dass die Infektionszahlen generell gesenkt werden müssen. Wir machen das Beste daraus und bieten wieder täglich von 12 bis 16 Uhr einen umfangreichen Außer-Haus-Verkauf an, inklusive Mittagstisch, leckeren Bowls und natürlich Kuchen und Torten.“ Doch was ist mit Einrichtungen, die nichts außer Haus verkaufen können, wie zum Beispiel Kinos?

Kinos machen dicht: „Schlag ins Gesicht“

„Ich sag Ihnen eins: Corona wird mich nicht umbringen und nicht die Kinos! Wir schaffen das!“, sagt Koralle-Kino-Betreiber Hans-Peter Jansen fast trotzig. Er empfindet die politischen Entscheidungen als Schlag ins Gesicht: „Das Kino ist ein Veranstaltungsraum, in dem sich noch kein Mensch angesteckt hat, einer der sichersten Indoor-Plätze. Kinos sind hoch und verfügen über Lüftungsanlagen, die verbrauchte Luft absaugen und neue hineinblasen. Wir haben alles gemacht, damit die Zuschauer sich im Saal sicher fühlen!“ Obwohl im Saal 1 des Koralle-Kinos Platz für 150 Leute ist, hielten sich dort seit der Wiedereröffnung am 2. Juli maximal 49 Personen gleichzeitig auf. „Das bedeutet: Bei einer Auslastung von 32 Prozent war der Saal ausverkauft! Wir konnten nicht kostendeckend arbeiten, haben jeden Monat etwas zuschießen müssen. Aber wir haben Kino gemacht, weil wir Kino lieben!“, sagt Jansen, der insgesamt sechs Kinos betreibt.
Er fürchtet, dass die Kultur stirbt, „weil sie nicht die gleiche Lobby hat wie die Auto- oder Flugzeugindustrie. Dass die Menschen die Kultur nach der Pandemie vergessen haben und sie nicht mehr vermissen, weil sie verlernt haben, etwas für den Kopf zu tun und rauszugehen – davor habe ich Angst!“ Wenn wir die Kulltur verlieren, verlieren wir unsere Identität!“

Last modified: 17. Dezember 2020

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