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Wenn Herr Stockhusen die Schafe durchs Dorf führt

15. Februar 2023

Vier historische Filme lockten mehr als 100 Volksdorfer ins Museumsdorf

VOLKSDORF Zeitzeugen gefunden – und zwar in großer Zahl: Mehr als 100 Geschichtsinteressierte haben sich im Volksdorfer Museumsdorf zusammengefunden um gemeinsam vier Kurzfilme anzuschauen, die Volksdorf in den 30er-Jahren zeigen.

Von Marius Leweke

„Das ist doch der Herr Stockhusen, der Schäfer, der war immer so grummelig.“ Die Erinnerung an längst vergangene Zeiten ist in den dicht besetzten Stuhlreihen des Wagnerhofs noch sehr präsent. Es läuft der erste der jeweils etwa zwölf Minuten langen Kurzfilme, die der Hamburger Fotograf Willi Beutler in Volksdorf gedreht hatte. Zu sehen ist eine eher ländliche Idylle, mit dem erwähnten Schäfer, mit Szenen, in denen Felder mit von Pferden gezogenem Pflug bewirtschaftet werden und dem Schmied mitten im Dorf, der die Pferde beschlägt.

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Die mehr als 100 Zuhörer erlebten eine Zeitreise in die Geschichte des Stadtteils. Foto: Marius Leweke

Beiträge aus dem Publikum sind an diesem Abend ausdrücklich erwünscht; denn die historischen Filme, die die Landesbildstelle Hansa damals hat drehen lassen, sollen ausgewertet werden. Gefunden wurden die Filme – sie haben keine Tonspur und wurden stumm vorgeführt – bei Aufräumarbeiten im Archiv des Walddörfer Gymnasiums. Die Initiatoren der Veranstaltung, Hans-Dieter Schneekloth, Archivbeauftragter im Museumsdorf, und Martin Schlosser, Lehrer für Geschichte, Latein, PGW und Philosophie am Walddörfer Gymnasium, wollen mehr darüber erfahren, wer und was da auf der Leinwand gezeigt wird. Nach einem ersten Durchlauf gehen die beiden den Film Schritt für Schritt mit den Zuschauern durch.

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Hans-Dieter Schneekloth (li.), Archivbeauftragter im Museumsdorf und Martin Schlosser, Lehrer am Walddörfer Gymnasium, die Initiatoren der Veranstaltung. Foto: Marius Leweke

Landpartie und Neubauprojekte

„Das ist Claus Ferck, der ältere“, erkennt eine ältere Dame einen Bauern beim Ausmisten. Zwei Männer beim Melken werden als Brüder aus der Schweiz identifiziert. „Die sind aber 1952 oder 1953 weggezogen.“ Als der erwähnte Schäfer mit der Volksdorfer Schafherde ins Bild kommt, heißt es, dass die Schafe alle abends selbstständig ihren eigenen Stall gefunden haben. Über die Frage, welcher Hof und welches Haus noch steht und wer dort gewohnt hat, entstehen sogar kleine Diskussionen.

Nach dem ländlichen Idyll geht es in den folgenden Filmen städtischer zu: Da begleitet die Kamera erholungssuchende Hamburger auf die Landpartie mit der Walddörferbahn ab Barmbek in den Volksdorfer Wald, zu den Teichwiesen und Richtung Bredenbeker Teich. Zugleich wird die rege Bautätigkeit im Stadtteil gezeigt. Die Entstehung der Siedlungen an der Rittmeisterkoppel, am Philipp-Reise-Weg und der Heinrich-Goebel-Straße ist zu sehen. „Da haben meine Schwiegereltern gewohnt“, sagt ein Zuschauer. Auch die neu zugezogenen Familien dürfen im Film auftreten – mit ihren meist blonden Kindern.

Während die Schilderung ländlichen Lebens mit der Einsaat von Hand und dem Besuch beim Schmied – wo einst die Schmiede stand, befindet sich heute die gleichnamige Apotheke – noch unbefangen daherkommt, propagieren die weiteren Filme offen die nationalsozialistische Idee.

Nazi-Aufmärsche in Volksdorf

Denn neben dem sonnenbeschienenen Familienleben rücken nun auch die Aktivitäten der diversen nationalsozialistischen Organisationen in Volksdorf ins Bild. Fröhlich spielen und tanzen Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel, stramme junge Männer marschieren im braunen Hemd durch die Straßen. „Hier werden die wohl als Werbung für Volksdorf gedachten Filme zu einem Instrument der Verführung und offenen Zustimmung zum Naziregime“, sagt Martin Schröter. „Der gewalttätige Charakter des Regimes gegen zahlreiche unterschiedliche Opfer wird ausgeblendet.“

Fortsetzung geplant im April

Für eine gründliche Aufarbeitung und Diskussion dieses Aspekts der Filme wollen Schneekloth und Schröter zu einem späteren Zeitpunkt rechtzeitig einladen, wahrscheinlich im April.

Last modified: 15. Februar 2023

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