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Wo bleiben die Corona-Hilfen?

13. Januar 2021

Vom Lockdown betroffene Selbstständige warten dringend auf Zuwendungen vom Bund

ALSTERTAL/ WALDDÖRFER Die Corona-Hilfen vom Bund fließen so langsam, dass sich sogar Finanzsenator Dr. Andreas Dressel per Twitter beim Bundesministerium für Wirtschaft erkundigte, wo die zugesagten und dringend benötigten Zuwendungen für November und Dezember bleiben. Die Abschläge, die gezahlt wurden, reichen bei Weitem nicht aus, um die Fixkosten der Lockdown-Betroffenen zu decken. Wir haben uns bei Betroffenen umgehört.

Von Anja Krenz

„Wo bleibt der Abschlag?“, fragte Finanzsenator Dressel das Bundeswirtschaftsministerium am 4. Januar per Twitter. Das fragt sich auch Peter Gade von der Tanzschule Ring3 in Hummelsbüttel: „Obwohl mir zweimal bestätigt wurde, dass mir die Hilfen zustehen, habe ich noch nicht einen Cent erhalten!“ Der 62-Jährige, der den Betrieb in der dritten Generation führt, fragt weiter: „Was nützt mir die Hilfe bei den betrieblichen Fixkosten? Wir müssen doch auch etwas essen!“ Private Lebenshaltungskosten würden nämlich nicht berücksichtigt. Zurzeit wartet er auf die Bewilligung eines weiteren Kredits, um „zu überleben. Aber das sind dann auch wieder Schulden!“

Sehr dankbar ist er seinen 970 verbliebenen Tanzclub-Mitgliedern, die mit ihren Beiträgen den Laden am Laufen und Gade die Treue halten. „Die wollen nach der Pandemie wieder leben, tanzen und sich miteinander treffen“, sagt der Ohlstedter. Seit März versorgt er die Tanzschüler mit Online-Kursen – zusammen mit seinem 40-köpfigen Team, dessen Kurzarbeitergeld er auf 100 Prozent aufstockt, „weil wir unsere Mitarbeiter danach brauchen!“ Obwohl er alles für das Überleben seines Betriebs tun will, sagt er: „Uns gibt es seit fast 100 Jahren. Wir haben alle Widrigkeiten überstanden. Aber Corona bringt uns jetzt an den Rand.“

Kai Netzer vom Bergstedter Café Zum Goldenen Tapir
„Mehr Klarheit, einheitliche Regelungen und nach fast einem Jahr endlich belastbare Perspektiven“, fordert Kai Netzer vom Bergstedter Café „Zum Goldenen Tapir“ Foto: crop

„Langsam geht uns die Puste aus“

Leslie Himmelheber, Gastronom aus Duvenstedt und Betreiber des „Lenz Restaurant“ beschreibt seine Situation so: „Meine monatlichen Fixkosten belaufen sich auf über 60.000 Euro. Anfang Dezember habe ich einen Abschlag für die Novemberhilfe in Höhe von 10.000 Euro erhalten.“ Dass man damit nicht weit komme, liege auf der Hand. Und es gibt weitere Verzögerungen: „Das Kurzarbeitergeld, das ich für meine 20 Festangestellten beantragt habe, haben wir für November noch nicht bekommen.“ Die für die Auszahlung zuständige Arbeitsagentur sei aufgrund der vielen Anträge überlastet, so Himmelheber. „Aber das ist doch nicht mein Problem! Langsam geht uns die Puste aus.“ Gastro-Kollege Kai Netzer, der sein Bergstedter Café „Zum Goldenen Tapir“ auch als Veranstaltungsort betreibt, steckt ebenfalls in finanziellen Nöten: „Wir haben bislang keine Novemberhilfe erhalten, da der Antrag noch bewilligt werden muss.“ Die Soforthilfe im ersten Lockdown, sagt er, sei schnell bei ihm angekommen. „Jetzt hingegen ist die Antragstellung für die zugesagte Erstattung der Umsatzeinbrüche nur über einen Steuerberater zulässig, dadurch sehr aufwendig und alles andere als unbürokratisch.“

Leslie Himmelheber von Lenz Restaurant in Duvenstedt
„Langsam geht uns die Puste aus“, sagt Lenz Leslie Himmelheber vom Lenz Restaurant in Duvenstedt Foto: John Goerling

Kritik an der Politik

Über das Vorgehen der Regierenden ist Tanzschulinhaber Peter Gade empört: „Die eiern seit Monaten rum, haben keine Vision und schmettern dann auch noch gute Vorschläge ab, nur weil sie aus der Opposition kommen!“ Außerdem solle man, bevor man Menschen Geld wie die Novemberhilfe verspricht, ein schlüssiges und funktionierendes Auszahlungskonzept haben. Sein Appell an die Politik: schnelle Auszahlung der angekündigten Hilfen, ausreichend Schnelltests, um frisch Getestete bei einwandfreiem Hygienekonzept einlassen zu können und in jedem Stadtteil ein ehrenamtlicher Corona-Beauftragter, der bei der Entwicklung und Umsetzung von Hygienekonzepten hilft. Gade: „Ich würde den Job sofort machen!“ Gastronom Kai Netzer fordert: „Mehr Klarheit, einheitliche Regelungen und nach fast einem Jahr endlich belastbare Perspektiven.“ Außerdem drängt er auf die nachhaltige Förderung aller Bereiche, die im weitesten Sinne Kunst, Kultur und Geselligkeit bieten, „vor allem auch auf lokaler Ebene.“ Lenz Leslie Himmelheber, der das „Lenz“ mit Außer-Haus-Verkauf am Leben hält, sagt: „Die Politik sollte endlich ihre Versprechen halten und verantwortungsbewusst handeln.“ Sie habe, sagt er, in Bereichen wie dem Lebensmittelhandel oder dem ÖPNV keine entsprechende Hygienestrategie entwickelt bzw. gefordert. „Wir Gastronomen haben jede Speisekarte, jeden Tisch und jeden Stuhl desinfiziert. Bei Einkaufswagen oder Bussen habe ich das hingegen noch nie beobachtet.“ Abschließend sagt Lenz Leslie Himmelheber und spricht damit sicherlich vielen Chefs aus dem Herzen: „Ich möchte mein Team behalten und habe noch nicht einen entlassen. Alle würden sich freuen, wenn es wieder losginge!“

Peter Gade ist der Inhaber der Tanzschule Ring 3
Peter Gade, Inhaber der Tanzschule Ring3: „Wir haben in unseren fast 100 Jahren alle Widrigkeiten überstanden. Aber Corona bringt uns jetzt an den Rand“ Foto: Mohr Photography

Kommentar
Auch Vermieter müssen verzichten

Während Gastronomen, Händler, Kulturschaffende oder Anbieter „körpernaher Dienstleistungen“ auf die von der Politik versprochene „schnelle, unbürokratische Hilfe“ warten, laufen ihre Fixkosten weiter. Dazu gehören die in unserer Stadt nicht unerheblichen Mieten. Es ist unerhört, dass sich Vermieter überwiegend nicht in der Pflicht sehen, Entgegenkommen zu zeigen. Auch in der Krise werden viele Mieten in voller Höhe eingefordert. Oder Stundungen angeboten. Doch die helfen den Betroffenen nicht – sie führen zu noch höheren Schuldenbergen. Also: bitte mehr Moral und Bereitschaft, im Sinne des Gemeinwohls zu verzichten!

Von Anja Krenz

Last modified: 13. Januar 2021

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