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Es wird Goofys letzter Winter

4. November 2020

Schulprojekt mit realistischem Ende: Jungstier wird bald geschlachtet – wie im echten Leben

VOLKSDORF Eines der spannendsten Schulprojekte Hamburgs geht in die Schlussphase: Der Stier Goofy, den eine Klasse des Walddörfer Gymnasiums als junges Kalb von einer Klassenfahrt aus dem Tiroler Zillertal ins Volksdorfer Museumsdorf gebracht hat, hat nur noch wenige Wochen zu leben. Anfang 2021 wird er geschlachtet – wie es schon beim Einzug Goofys in den Harderhof vorgesehen war. Ein Experiment, das auch zum Nachdenken anregen soll.

Muh. Muh. Und nochmal Muh. Deutlich gibt Goofy Laut. Der junge Stier steht im herbstlichen Nieselregen vor dem Harderhof im Volksdorfer Museumdorf. Umringt von einer ersten Klasse der Schule Ahrensburger Weg. Zwei der Grundschüler striegeln Goofy, was dem 16 Monate alten Jungrind offenbar gut gefällt. „Er bekommt jetzt das Winterfell, da tut ihm das Striegeln gut“, sagt Theresa aus der 10c des Walddörfer Gymnasiums.

Die Klasse, damals noch 8c, war dafür verantwortlich, dass das Tiroler Braunvieh aus dem Ort Lechlahner im Tiroler Zillertal im Museumsdorf gelandet ist. Bei einem abendlichen Spaziergang während Klassenfahrt in Österreich durften einige Schülerinnen die Geburt des damals noch namenlosen Kalbs miterleben. Als der Bauer ihnen damals erklärte, dass nahezu jedes männliche Kalb einer Milchkuh nach spätestens drei Monaten geschlachtet wird, beschloss die Klasse, den jungen Stier nach Hamburg zu holen, ins Volksdorfer Museumsdorf. Natürlich wurde der mittlerweile Goofy genannte Stier nicht einfach in den Stall gestellt und fertig. „Bedingung war ein vernünftiges Konzept, was mit dem Tier weiter geschehen sollte“, so Jungbauer Mirko Zimmermann. Schließlich sei das Museumsdorf kein Streichelzoo, sondern ein Ort, der den bäuerlichen Alltag vergangener Zeiten widerspiegelt. So wurde Goofy für die ganze Klasse zu einem, im wahrsten Sinne des Wortes, lebendigen Projekt. In kleinen Gruppen erledigen die Schüler seither regelmäßig mit Landwirtschaft und Viehzucht zusammenhängende Arbeiten. „Wir haben abwechselnd Stalldienst, misten aus und helfen im Museumsdorf auch an anderen Stellen aus“, sagt Laura. Rüben ernten, schmieden, viel mit den Händen arbeiten – das hat die Klasse begeistert und auch zusammengeschweißt. „Man lernt sich ganz anders kennen“, sagt etwa Jonas und Klassenkameradin Anna ergänzt: „Wir haben akzeptiert, dass zur Arbeit im Museumsdorf auch unangenehme Aufgaben gehören“.
Dass Goofy im Alter von rund anderthalb Jahren geschlachtet wird – sie wussten es alle. „Wir sind mit dem Gedanken an den Abschied in das Projekt gegangen“, sagt Anna. Einige Mitschüler würden Goofys Ende durchaus bedauern, „aber dennoch stehen alle in der Klasse zu 100 Prozent hinter dem Projekt“. Was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass man sich, auch fächerübergreifend, mit Landwirtschaft, Ernährung und Tierhaltung auseinandergesetzt hat. „Die Klasse hat Literatur zum Thema gelesen, über die aktuelle Situation in den Großschlachtereien diskutiert und auch in Physik den Methanausstoß in der Rinderhaltung berechnet“, so Klassenlehrerin Barbara Damann. Ein Gnadenhof oder eine „Weitergabe“ Goofys an eine nachfolgende Klasse kam für die 10c nicht in Frage. „Wir würden uns selbst anlügen, wenn wir dieses eine Tier retten, nur weil wir eine Bindung zu ihm aufgebaut und ihm einen Namen gegeben haben“, sagt Nils. Goofy verschonen und weiter Fleisch zu essen, passe einfach nicht. Man habe aber schon eine emotionale Bindung zu Goofy aufgebaut, wirft Anna ein. „Einige von uns bedauern schon, dass er geschlachtet wird.“ Das nahende Ende „löst schon einiges aus“. Der „Respekt vor dem Tier-Leben“ hat bei manchem Schüler aus der 10c auch den Blick auf die eigene Ernährung geändert. Vorher haben zwei Schüler auf Fleisch verzichtet, jetzt zählt die Klasse acht Vegetarier. Aber auch die, die am Fleischverzehr festhalten, achten mehr darauf, wo das Fleisch herkommt.

Die Entscheidung der Schüler, „ihren“ Stier zu schlachten, fand außerhalb der Schule nicht überall Zustimmung. Gegenwind kam beispielsweise aus der „veganen Szene“, wie Lehrerin Damann berichtet. Dem hält Nils entgegen, dass mancher Kritiker, den Sinn des Projektes offenbar nicht ganz verstanden habe. Laura, die selbst vegetarisch lebt, war schon früh klar, „dass wir Goofy nicht retten können“. Ihr selbst ist durch die Zeit im Museumsdorf auch bewusst geworden, „was Landwirtschaft wirklich bedeutet“. Die Schüler aus der 10c haben auch die Möglichkeit, nach dem Schlachten beim Zerlegen des Tieres zu helfen. Dabei gehe es darum, so Jonas, „eine Würde im Produkt Fleisch zu entdecken“. Goofy indessen steht weiter vor der Stalltür, frisst Heu und lässt sich geduldig von den Erstklässlern streicheln.
Barbara Damann hofft, dass weitere Projekte folgen. Sie kann sich nach den guten Erfahrungen der vergangenen Monate vorstellen, weitere Klassen für die Museumsdorf-Arbeit zu begeistern. Durchaus auch wieder mit der Begleitung eines Tieres von der Geburt bis zum Schlachthof. „Das war pädagogisch unglaublich fruchtbar.“ Sachtexte lesen sei das eine, die Realität kennenlernen etwas ganz anderes.

Von Marius Leweke

Wie es mit Goofy weiter geht lesen Sie hier: Gnadenbrot für Goofy

Last modified: 16. Dezember 2020

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