Willkommen in den Walddörfern und im Alstertal

Schönster Tag der Woche

28. Oktober 2020

Verein verteilt Lebensmittel an Bedürftige – aktuell kommen mehr Menschen

WELLINGSBÜTTEL Den Alstertaler Gabentisch e.V. gibt es seit 16 Jahren. In den Räumen der Christengemeinde Arche Alstertal an der Saseler Chaussee 76 a, die der Verein kostenfrei nutzen darf, erhalten Bedürftige für einen Euro eine Tasche voller Lebensmittel. Zurzeit kümmern sich rund 60 Ehrenamtliche um das Einsammeln und Ausgeben der Ware. Dabei handelt es sich – wie bei der Hamburger Tafel – um Spenden lokaler Supermärkte, Discounter, Obst- und Gemüsegeschäfte sowie Bäckereien. In Berne wird seit 2015 eine zweite Ausgabestelle betrieben.

Nils Rahe, der 1. Vorsitzende des Vereins, ist gerade von seiner Tour zurückgekommen. Er war in einem der zwei vereinseigenen Transporter unterwegs und hat die gespendeten Lebensmittel bei den Geschäften abgeholt. Während seine ehrenamtlichen Mitarbeiter vor der Lebensmittel-Ausgabe noch letzte Vorbereitungen treffen und sich an ihren Stationen einfinden, nimmt er sich kurz Zeit für ein Gespräch: „Die Idee zur Gründung unseres Vereins entstand in dieser Kirchengemeinde, der ich angehöre. Wir wollten Menschen aus dem Alstertal helfen. Denn auch in dieser scheinbar heilen und wohlgeordneten Welt herrscht Not.“ Am Anfang versorgte der Verein einmal wöchentlich maximal 15 Menschen, inzwischen sind es rund 250 Haushalte. „Zunächst kamen vor allem Hamburger und Aussiedler“, erzählt der 67-Jährige. „Das waren vor allem Leute, die Minirenten bekamen. Nicht wenige waren arbeitslos, einige hatten körperliche oder psychische Erkrankungen.“ Ab September 2015 kamen Flüchtlinge hinzu. Und aktuell, so Rahe, gebe es Steigerung um zehn Prozent durch Betroffene der Corona-Krise. „Die sind immer gut klargekommen, doch durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit brauchen sie nun Hilfe.“

Nils Rahe vom Alstertaler Gabentisch e.V.
Nils Rahe ist der 1. Vorsitzende des Vereins und der Mann für alles Fotos: A. Krenz

„Warum glauben Sie?“

Das Zahlen-Verhältnis von Deutschen und Migranten, die aus den umliegenden Flüchtlingsunterkünften kommen, liegt bei 50:50. Das zwischenmenschliche Verhältnis sei sehr gut, sagt Rahe. „Die Geflüchteten haben sich inzwischen sprachlich besser integriert, einige kommen schon seit Jahren. Und,“ betont er, „egal welcher Hintergrund, welches Herkunftsland, welche Religion – es gibt kaum Probleme.“ Im Gegenteil. Er stelle fest, „dass sich die Muslime öffnen. Sie fangen an zu fragen, u. a. warum glauben Sie? An was glauben Sie? Man kommt ins Gespräch, bekommt die Probleme mit und bietet Unterstützung an.“ So helfe der Verein nicht nur beim Füllen des Kühlschranks, sondern auch beim Ausfüllen von Formularen, bei Amtsgängen oder besorge schon mal einen Kinderwagen für eine junge Mutter.

Wie wird man Kunde?

Jeder, der im Umfeld lebt, seinen Pass und einen Bedürftigkeitsnachweis mitbringt, kann an den Ausgabetagen dienstags und donnerstags einfach vorbeikommen. Dabei ist Nils Rahe klar, „dass den Menschen dieser Schritt nicht leicht fällt.“ Wer z. B. eine Rentenaufstockung oder Hartz IV erhält und dies mit einem Schriftstück nachweisen kann, wird registriert und in die Kundendatei aufgenommen. „Dabei klären wir ab, ob jemand alleinstehend ist oder eine Familie hat.“ Anschließend darf sich der neue Kunde einmal pro Woche eine Tasche, randvoll mit Lebensmitteln, für einen Euro abholen. Wenn die Familie groß und die Ware ausreichend ist, gibt es auch mal zwei Taschen. Seit der Wiedereröffnung nach dem Lockdown dürfen die Menschen nur noch kurz die Räume betreten. Dennoch hört Nils Rahe häufig von seinen Kunden: „Das ist der schönste Tag der Woche!“ Das bewegt den ehemaligen OTTO-Manager. „Die Dankbarkeit ist groß. Und bei uns wird jeder respektvoll behandelt: Er wird willkommen geheißen, gesiezt, nach seinen Wünschen gefragt und wertgeschätzt.“

Von Anja Krenz

Ursula Hausmann (71) aus Poppenbüttel zog vor fünf Jahren von Würzburg nach Hamburg, weil ihr Sohn hier lebt und sie verwitwet war. Als vier Monate später die Flüchtlinge kamen, wollte sie etwas tun: „Der Mensch zählt – egal ob rot, weiß oder schwarz!“ Sie half erst in Ohlstedt und wechselte dann vor knapp drei Jahren zum Gabentisch. Es erfüllt sie, wenn die Menschen sich freuen, weil sie deren Vorlieben kennt und ein privates Wort mit ihnen wechselt. Beim Gabentisch hat sie Freundinnen gefunden, mit denen sie kleine Wanderungen macht, mal ins Kino geht oder Kaffee trinkt.
Birgitta von Zabiensky (64) wollte sich nach ihrer beruflichen Laufbahn als Versicherungskauffrau um Menschen kümmern, „die nicht so viel Glück im Leben hatten wie ich.“ So stieß die Saselerin 2017 zu den Gabentisch-Mitarbeitern. Seitdem hat sie dort alles gemacht – vom Einsammeln der Ware über den Empfang bis hin zum Sortieren und Verpacken der Lebensmittel. „Ich möchte das machen, solange ich es schaffe. Wir haben Kolleginnen, die sind über 80 und jede Woche dabei. Dieses Ehrenamt hält jung und macht Spaß, weil wir lachen und schnacken!“

Ursula Hausmann (l.) und Birgitta von Zabiensky, zwei der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen Foto: A. Krenz

Rolf (67) aus Hummelsbüttel, seit 2004 Kunde beim Alstertaler Gabentisch e.V. „Ich krieg eine Minirente: 248 Euro, und die Miete wird bezahlt. Ich habe Konditor und Zimmermann gelernt, zwischendurch als Gärtner gearbeitet. Allgemein komme ich klar, aber alle Knochen sind kaputt, mein Herz ist auch nicht in Ordnung. Ich habe ständig Schmerzen. Trotzdem gehe ich viel spazieren – wer rastet, der rostet. Hier ist alles toll, die geben sich sehr viel Mühe. Man muss das bewundern, dass sie regelmäßig hier sind. Vor Corona gab es hier immer Kaffee und Kuchen. Man konnte sich hinsetzen und schnacken. Man kennt sich und man hilft sich. Ich bringe nachher einem Volksdorfer, der kaum noch schnaufen kann, seine Lebensmittel vorbei. Der ist 74 und schwer herzkrank. Danach fahre ich mit dem Bus zu mir. Im Lockdown, als hier sieben Wochen zu war, haben mich Nachbarn und meine 87-jährige Mutter unterstützt. Ich bin sicher, dass wegen Corona hier bald mehr Kleinunternehmer und Kurzarbeiter kommen, die pleitegegangen sind. Bei Minusgraden muss man sich warm anziehen – wie im richtigen Leben. Das Gefühl, dass ich noch für was gut bin, hätte ich gern, aber wenn die Knochen nicht mehr wollen…“

Mit gespendeten Lebensmitteln gefüllte Stofftaschen gibt es für einen Euro

Alstertaler Gabentisch e.V.
Saseler Chaussee 76 a, 22391 Hamburg
Alle wichtigen Infos finden sich auf der Seite des Vereins:
www.alstertaler-gabentisch.de
Sachspenden werden aktuell nicht benötigt. Geldspenden sind immer willkommen.
Derzeit sucht der Verein weitere Mitarbeiter, u. a. Fahrer und Beifahrer für die Transporter-Touren. Ansprechpartner:
Nils Rahe, Tel. 040-606 63 01, E-Mail: nilsrahe@aol.com

Last modified: 17. Dezember 2020

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