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Autoarmes Volksdorf: „Ist der Drops schon gelutscht?“

24. Oktober 2020

Lebhafte öffentliche Anhörung zum Pilotprojekt – nicht alle sind begeistert

VOLKSDORF Die Ortsmitte Volksdorfs soll 2021 für ein paar Wochen autoarm werden. Ein umstrittenes Projekt, wie eine öffentliche Anhörung – online und offline – zeigt. Die Skala der Meinungen reicht von: „Alles, nur das nicht!“ bis hin zu „Tolle Idee, warum kommt sie erst jetzt?“.

Von Susanne Holz

Zwischen den Sommer- und Herbstferien 2021 startet in Volksdorf ein Pilotprojekt, das große Vorbilder hat: Wien, München, Brüssel oder Hamburgs Stadtteil Ottensen – sie alle haben es schon getestet: wie es sich anfühlt, lebt und einkauft, wenn man einen Teil der Ortsmitte autoarm oder autofrei gestaltet. Mehrere Wochen soll das im Rahmen eines Pilotprojektes nun auch in Volksdorf ausprobiert werden. Ein durchaus umstrittenes Projekt. Im Kern geht es um rund 70 Parkplätze, die temporär wegfallen sollen. Ein Stein des Anstoßes, wie ein öffentliches Anhörungsverfahren des Regionalausschusses Walddörfer zum Thema am Montagabend zeigt.

Diskussion dauert 150 Minuten

Zweieinhalb Stunden lang diskutierten Bürger mit Heinke Wiemer, Leiterin des Fachamtes Management des öffentlichen Raums im Bezirksamt Wandsbek, Verkehrsplanerin Dr. Philine Gaffron, Heike Schwarcke, Vertreterin der Volksdorfer Kaufleute, Friedhelm Petersen, Leiter des PK35 und Wilfried Buss, Vertreter des Bezirklichen Seniorenbeirates. Damit ist das Projekt, das von der Politik beschlossen worden ist, in der zweiten Projektphase angekommen. Es folgen im Prozessverlauf eine Bürgerbeteiligung und die Umsetzung und Evaluierung im kommenden Jahr.

Besonders die Kaufleute sehen es kritisch. „Das Projekt wäre eine nächste Hürde, die wir überstehen müssen. Wir haben unter Corona schon genug gelitten“, sagte Heike Schwarcke, die die Bedeutung der Parkplätze für das Einkaufsverhalten der Besucher ins Feld führte, für rund 50 Kaufleute sprach und Fragen beantworten sollte. Am Ende hatte sie selbst noch eine entscheidende: „Ist das Ding schon in Stein gemeißelt? Der Drops gelutscht? Können wir es noch ändern?“ Fest steht: Der politische Beschluss ist gefasst, jetzt geht es um die Ausgestaltung des Projektes – in enger Abstimmung mit den Bürgern. Den entscheidenden Hinweis erhielten diese von Heinke Wiemer eine Stunde und 14 Minuten nach Beginn der Diskussion. Es gehe nicht darum, Volksdorf gänzlich autofrei zu machen. Es gehe darum, den Parkraum anders zu nutzen. „Man kann weiter durch das Dorf fahren, weil nur die Parkplätze anders genutzt werden“, sagte sie. Privatleute und Taxen dürfen die Straßen Claus-Ferck-Straße und Im Alten Dorfe auch während des Pilotprojektes weiter passieren, Menschen zum Arzt bringen und vieles mehr. Ein wichtiger Faktor, wie Seniorenvertreter Wilfried Buss betonte. Zudem setzte Wiemer die wegfallenden rund 70 Parkplätze in Relation. „Es gibt im Umkreis von 300 Metern noch rund 1000 weitere Parkplätze“, betonte sie. Mehrere Meinungen auch im Publikum. Während die einen die Idee für längst überfällig halten, sind die anderen strikt dagegen. Die Gegner sind der Ansicht, dass Volksdorf generell kein Dorf zum Flanieren sei. Tenor: Wer ein Brot kaufen möchte, möchte nicht auf leeren Straßen flanieren, sondern nur schnell zum Bäcker. Eine Zuhörerin nannte die Idee, dass Volksdorf eine Flaniermeile bekommen könnte, „romantisch“ und forderte ein klares Konzept.

Der genaue Plan muss noch erarbeitet werden

Das allerdings, so betonte auch Heinke Wiemer immer wieder, gibt es aktuell noch nicht. Der Plan, der alle Details festlegt, müsse jetzt erarbeitet werden. Wie genau sich das Zusammenspiel zwischen Fußgängern, Fahrradfahrern und Autofahrern entwickele, solle vorher skizziert werden, zeige sich letztendlich aber erst in der Realität. Und die werde das PK35 genau beobachten, versprach Friedhelm Petersen.

Die Realität aber sei doch bislang ganz in Ordnung gewesen, warf Geschäftsfrau Heike Schwarcke in den Argumentationsring. „Wir Geschäftsleute haben vorher kein Problem gesehen. Wir haben einen intakten Ortskern. Zum Brotholen möchte niemand mit dem Bus fahren.“

„Dem Projekt eine Chance geben“

Wilfried Buss sprach für seine Generation und bat um Verständnis dafür, dass die älteren Menschen sich mit der Idee noch schwertun. „Sie sind es seit 60 Jahren gewöhnt, mit dem Auto zum Einkaufen zu fahren. Sie denken: ,Wir können dort nicht einkaufen, wenn es keine Parkplätze gibt.“ Die Anregung von Verkehrsplanerin Dr. Philine Gaffron, einen Lieferservice mit Lastenrad anzubieten, fand seine Zustimmung. „Das wäre noch einer oben drauf“, entgegnete Heike Schwarcke. „Wissen Sie, wie Spitz auf Knopf es gerechnet ist, dass man überhaupt klarkommt? Volksdorf ist ein teures Pflaster.“

Dr. Philine Gaffron, die auch das Pilotprojekt in Hamburg-Ottensen fachkundig begleitet hat, warb dafür, der Idee eine Chance zu geben. „Die Stimmung unter den Geschäftsleuten war am Ende sehr viel besser, als die öffentliche Debatte in Ottensen vermuten ließ.“ Bei einer Befragung am Ende des Projektes gaben 70 Prozent an, mit einer Fortsetzung einverstanden zu sein. Etwaige Umsatzeinbußen ließen sich nicht nachweislich auf das Projekt zurückführen. „Das Projekt ist einfach eine große Chance, es auszuprobieren, zu gucken, wie es funktioniert.“

Last modified: 17. Dezember 2020

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